Gefahren von Februar 1992 bis Mai 1992 auf 2.000 km
(Artikel für den bma, geschrieben 1992)
Daß der Spaß am Motorradfahren nicht parallel zur Motorleistung steigt, hat sich inzwischen ja einigermaßen herumgesprochen. Auf der Suche nach meinem eigenen Horizont habe ich festgestellt, daß sich mit 130 Pferdestärken auch große Seifendosen beachtlich beschleunigen lassen, aber auch, daß eine 1a taugliche 400er einen zuverlässig durch den Alltag tragen kann. Durch einen Tausch, habe ich nun die Gelegenheit, meinen Horizont nach unten zu erweitern.
Eine 350er XT von Yamaha, mit gerade 17 Pferdchen, steht jetzt in meinem Stall und ich überlege nun, wozu man dieses Moped wohl gebrauchen kann.
Mit Ihrem weiß/roten Kleid und den langen Federwegen sieht sie richtig erwachsen aus und nur der Schriftzug 350 erinnert daran, daß man es nicht mit der großen, erfolgreichen Schwester zu tun hat.
Die erste Sitzprobe fällt recht komod aus, denn der Abstand zu den Fußrasten und zum Lenker paßt bei meinen 176 cm recht gut. Sogar die Füße reichen locker an den Erdboden. Die Finger kommen gut an die Hebelei und der Tacho, sowie Drehzahlmesser sind zwar klein, aber gut ablesbar.
Die Suche nach dem E-Starter Knöpfchen verläuft jedoch im Sande. Also den Choke, direkt am Vergaser befindlich, gezogen, den etwas mickrigen Benzinhahn geöffnet und feste drauf auf den Kickstarter. Eine Dekompressionsautomatik erleichtert die Prozedur enorm. 1mal, 2mal, läuft. Na also, es geht auch ohne Knöpfchen. Die Geräuschentwicklung ist von einem Einzylinder-Dampfhammersound weit entfernt, aber die Mitmenschen werden es wohl danken. Nun denn, der erste von sechs Gängen rastet geräuschvoll ein und die 210 kg (inkl. 70 kg Fahrer) leichte Fuhre zieht von dannen.
Nach wenigen hundert Metern kann der Choke gänzlich zurückgenommen werden. Die Gänge lassen sich in Verbindung mit der leichtgängigen Kupplung leicht rauf und runterschalten. Zum Glück, denn schaltfaul darf man nicht sein, wenn es zügig vorrangehen soll. Mit 17 PS reißt man nun mal keine Bäume aus - höchstens ganz kleine. Auf den ersten Kilometern fahre ich nur Schlangenlinien, obwohl ich garantiert nüchtern bin. Schließlich stelle ich fest, daß der Lenker nur zum Lenken da ist und nicht zum Festhalten. Auch kleine Unruhen werden über den langen Hebelarm sofort aufs Vorderrad weitergeleitet.
Bis 100 km/h geht es wirklich flott voran, doch dann würgt die Drosselung den Vorwärtsdrang rasch ab. Bei Vollgas ist die Drehzahlmessernadel noch weit vom roten Bereich entfernt. Auf Landstraßen läßt es sich jedoch herrlich leicht durch die Kurven schwingen und da wir hier im Norden kaum Steigungen haben, reicht auch die Motorleistung aus. Man darf sich nur nicht streßen lassen, denn auch bei fleißiger Schaltarbeit zeigt man keinem Superbike den Hinterradreifen. Apropo Reifen: Auf der Straße werden sie alle meinen Ansprüchen gerecht, was wohl daran liegt, daß der negative Anteil im Gummi recht sparsam ausfällt.
Ebenso spärlich ist der Benzinkonsum, der auf der Langstrecke unter fünf Litern auf 100 km liegt und so bei 12 Liter Tankinhalt einen ausreichenden Aktionsradius gewährt. Wer diese Kapazität ausreizt wird auch feststellen, daß die Sitzbank eher einem Sitzbalken ähnelt. O.K., ich bin BMW-Möbel gewohnt, aber Yamaha beweist, daß Japaner einen schmaleren Hintern haben, als wir Europäer. Anders läßt sich diese Kreation nicht erklären. Daß sich der Zweipersonenbetrieb trotz rahmenfester Soziusrasten auf die Fahrt zur nächsten Eisdiele, oder Baggergrube beschränkt, braucht wohl nicht länger erläutert zu werden.
Nun denn, nachdem sich mein kleiner Einzylinder auf der Straße nun mehr recht als schlecht bewährt hat, testen wir doch mal, was der hochgelegte Kotflügel verspricht: Gelände, Sand und Matsch. Wie bedient der kleine Hüpfer den Hobbyenduristen, den sie ja zumindest mit Ihrer Optik lockt?
Die Federwege von vorn 255 mm und hinten 220 mm sollten wohl ausreichen. Also erst mal auf die Feldwege in der Wildeshauser Geest los und Gas geben. Wie spielerisch sich das leichte Moped im Gegensatz zu meiner Reiseenduro über den losen Untergrund dirigieren läßt ist erstaunlich. Das Fahrwerk bügelt alles glatt, was sich in den Weg stellt und auch in das große Schlammloch geht es mit Schwung hinein. Doch was ist das? Plötzlich rutsche ich mehr als ich fahre und nur mit Mühe kann ich einen Sturz vermeiden. Die Lösung ist natürlich einfach, denn so gut wie die Reifen auf der Straße sind, so schnell setzt sich das Profil im feuchten Gelände zu. Tja, alles geht nunmal nicht. Also ab ins trockene Baggerloch.
Das Fahrwerk steckt auch kleinere Sprünge locker weg, solange man nicht Jean Michel Bayle spielt. Spätestens dann sollte die Gabel luftunterstützt (was geht) und das Federbein vorgespannt werden. Aber ich bin ja nicht JMB. Für einen Anfänger reicht das Fahrwerk allemal.
Da es inzwischen dunkel wird, mache ich mich auf den Heimweg und stoße jetzt auf ein wirklich düsteres Kapitel in der XT-Geschichte. Die 40 Watt Funzel im Hauptscheinwerfer erreicht vielleicht einer Mofa zur Ehre, ist jedoch bei einem Motorrad völlig fehl am Platze. Immerhin leuchtet das 45 Watt Fernlicht die Straße einigermaßen gut aus, wobei die Betätigung desselben jedoch ein Witz ist. Hauptlicht- und Fernlichtschalter liegen so dicht beisammen, daß ich vor einer Kurve plötzlich im Dunkeln stehe, als ich abblende. Zum Glück kenne ich meine Hausstrecke auch im Dunkeln und glücklicherweise kommt mir auch gerade niemand in die Quere. Trotzdem, sowas muß ja wohl nicht sein und zuhause übe ich erstmal auf- und abblenden. Inzwischen habe ich mich an die Schalter gewöhnt, genauso an die Sitzbank und das Lenkverhalten.
Somit stellt sich nun die Frage, wozu die XT gut ist. Kein Crosser, keine Reisemaschine, kein Tourer und schon gar kein Superwetzhobel. Nicht Wasser, nicht Wein. Zum Fahren im Winter, zum Einkaufen und zur Fahrt in die nächste Stadt ist sie jedoch ideal. Nichts kann sie richtig, aber von allem etwas und vor allem im leichten Gelände bringt sie großen Spaß. Die Reifen kann man sich ja entsprechend dem eigenen Geschmack und Bedarf aussuchen. Und noch einen Vorteil hat sie: Haftpflicht, Teilkasko und Steuern summieren sich im Jahr auf gerade mal 250 DM. Und das bei 100%!
Da der Einstandspreis mit ca. 7000 DM recht happig ausfällt, werden sich die meisten Interessenten wohl auf dem Gebrauchtmarkt umsehen und da die Technik einfach und ausgereift ist, ist das nicht mal die schlechteste Idee. Die Anfänger mit 1a-Schein, werden wohl eher eine XT 600 auswählen, als Zweitmotorrad und zum "Versicherung runterfahren" ist die 350er jedoch super.
Was bleibt, ist vor allem die Erkenntnis, daß es hinter dem Horizont weiter geht.... (ML)